Mythos als Strategie

Ein Beispielraum vor und nach der Ausstattung mit dem ReFlx®-System.

Der Mythos wird hochgehalten und hervorgehoben: Unangenehme oder gar störende Raumakustik entstehe durch Reflexionen an schallharten Wänden und Decken. Vollflächig bedämpfende Decken seien z. B. in Klassenräumen das beste Mittel, um den störenden Nachhall in den Griff zu bekommen.

Ratgeber im Internet oder darüber verbreitete Broschüren enthalten solche „Weisheiten“, die der physikalischen Überprüfung nicht standhalten. Ein Beispiel ist ausgerechnet der DGUV, der „Spitzenverband der Deutschen Unfallversicherer“.

Doch…

woher rührt dieser Mythos?

Etwa von der Sabine’schen Formel?

Nicht wirklich. Er rührt eher daher, dass Wallace C. Sabine die einzelnen Reflexionen (noch) nicht auseinanderhalten konnte. So hatte Sabine die raumakustischen Probleme nicht hinreichend detailliert beschreiben und keine abschließenden Lösungsvorschläge anbieten können. Aber Sabine war ein Pionier seiner Zeit! Und keinesfalls Bequemlichkeit stand ihm im Wege, sondern sein verfrühter Tod.

Schon 1900 – und erst recht in seinen weiteren Publikationen ab 1906 – hatte Wallace C. Sabine auf Probleme hingewiesen, die Größe und Form eines Raumes, insbesondere aber die höheren Frequenzen im Zusammenhang mit zunehmender Absorption betreffend. Probleme, die eine einfache Formel nicht erfassen kann.

W. C. Sabine ist unschuldig

Wallace C. Sabine mag die Quelle des Missverständnisses sein. Die Wurzel des Übels aber ist weder die Person Wallace C. Sabine, noch sind es seine Publikationen.

Die so genannte und bis heute ungebremst gebräuchliche „Sabine’sche Formel“ ist nur eine Grundlage, die Wallace C. Sabine im Jahre 1900 über seine Publikation im ‚The American Architect‘ unter dem Titel ‚Reverberation‘ in die Welt gesetzt hatte. Als solche – nämlich als „Träger“ oder Ankerpunkt eines umfassenderen mathematischen Ausdrucks – wird uns die Sabine’sche Formel gewiss erhalten bleiben. In ihrer jetzigen Form und Handhabung jedoch führt sie zu unbefriedigenden und wenig alltagstauglichen Resultaten.

‚Reverberation‘ kann nicht übersetzt werden mit „Nachhall“. Das, was man über RT60 als das Abklingens aller Reflexionen um 60 dB erfasst und als „Nachhallzeit“ bezeichnet, ist in Wahrheit das Abklingen aller denkbaren Formen des Rückwurfs von Schallenergie an jedweden Formen und Gegenständen in einem Raum.

dem Mythos entgegentreten

‚Reverberation‘ darf mit „Nachhall“ nicht verwechselt werden. Genau dort, wo es relevant wird, macht man aber genau das: in der Akustik.

Man darf mir entgegen halten, ich müsse eben den gebräuchlichen Aussagewert bestimmter Worte anerkennen. Allein, es erscheint mir so, dass gerade dieser Wortgebrauch Missverständnisse fördert. Im besten Falle: nur Missverständnisse…

‚Reverberation‘ mit „Schallrückwürfen“ zu übersetzen, klänge ungelenk. Und so ist ‚reverberation‘ vielleicht eines jener Worte, die man besser nicht übersetzt. Das ist, was bleibt, wenn man sich mit Wallace C. Sabine etwas näher auseinandersetzt.

Und bitte: Wo ist das Problem? In der englischen Sprache gibt es Wörter wie „Kindergarten“ und „Zeitgeist“. Weil sie sich nicht in ein oder zwei Worten schlüssig ins Englische übersetzen lassen, übernimmt man sie einfach.

Tafelfront und Seitenwand eines Beispielraumes: vorher / nachher; durch Ausstattung mit ReFlx®-System passiv inklusionstauglich

Außerdem: Wenn wir doch längst auch gelernt haben, nicht mehr von der Widerstandsfähigkeit zu sprechen, weil das etwas anderes sei als Resilienz, dann kann man ja in der Wissenschaft und Branche der Raumakustik auch anerkennen, dass man ‚reverberation‘ nicht „einfach“ übersetzen kann.

Möge dann aus „Reverberation“ nicht neudeutsch „Rewerberation“ werden, nur um das Wort mit Gewalt „einzudeutschen“. Wir waren auch jahrzehntelang gut damit klar gekommen, wenn wir mal einen wertvollen „Tip“ bekommen hatten. … bis es ein „Tipp“ werden musste. Den Wert hilfreicher Hinweise hat das hingegen nicht gesteigert.

‚reverberation‘ – besser nicht übersetzen

Zum Glück schlägt ein solcher Aktionismus nicht immer zu. Die „Garderobe“ ist noch immer, was sie seit eh & je ist…

Kann man nicht also auch „Reverberation“ als stehenden Begriff und unübersetzbar akzeptieren? Und kann man nicht akzeptieren, dass folglich die „Nachhallzeiten“ nicht das sind, als was sie gelesen werden?